92 Kamerun 2011: David Grüter mit achtzig Schülern im Zimmer


Ich lebe und arbeite in Douala, der grössten und wirtschaftlich wichtigsten Stadt Kameruns, direkt am Meer gelegen. Mein Job hier ist eigentlich noch derselbe wie in der Schweiz: Mathematiklehrer. Allerdings ist so ziemlich alles anders, was das Unterrichten angeht. Hierher geführt hat mich die Suche nach einer Zivildienststelle im Ausland. DM-échange et mission hat mir diesen Traum ermöglicht und eine Stelle am Collège Évangélique de New-Bell vermittelt. Die Schule gehört zu den pädagogischen Einrichtungen des EEC, Église Évangélique de Cameroun, ist also eine Privatschule. Untergebracht bin ich in der Peripherie der Stadt in einer Wohnung, welche meine Schule für mich und Lena, eine Volontärin aus Deutschland, gemietet hat.

Der offizielle Schulbeginn war am Montag, 5. September. Allerdings war an diesem Tag noch keine Spur von Schülern. Grund: Die Stundenpläne und die Klasseneinteilungen waren noch nicht fertig erstellt. Erst Mitte der zweiten Schulwoche konnte ich meinen Stundenplan entgegennehmen und dann mit dem Unterricht beginnen. Mir wurden zwei Klassen der 2. und eine Klasse der 3. Oberstufe anvertraut, was stofflich gesehen ungefähr dem Inhalt zwischen 6. Primarschule und 2. Oberstufe bei uns entspricht.

Das Unterrichten gestaltet sich alles andere als einfach. Viele Arbeitsabläufe sind stark durch Vorgesetzte kontrolliert. Damit hatte ich zuerst etwas Mühe, da ich als Lehrer doch eine viel grössere Freiheit und Selbstverantwortung gewöhnt bin. Auch einen frei zugänglichen Kopierraum gibt’s nicht, weil Papier teuer ist. Und wenn die Schüler mal Kopien bekommen, dann sind das in der Regel die Prüfungsblätter.

Man muss sich vorstellen, dass mir in den Lektionen jeweils so 80 Schüler gegenübersitzen, in eher dunklen Räumen, meistens ohne Beleuchtung (man spart Strom). In erster Linie kopieren die Schüler den Stoff, den ich ihnen an der Wandtafel präsentiere. Frontaler Unterricht in der Schweiz ist also ein müder Vorname für das, was man hier kennt. Arbeitsblätter oder der Einsatz anderer Medien stehen nicht auf der Speisekarte. Was hingegen sehr erstaunt: Die Schüler haben meistens sehr ordentlich und sorgfältig geführte Theoriehefte. Die Unterrichtszimmer haben alle eine grosse Wandtafel, ein kleines Lehrerpult und vier senkrecht zur Wandtafel verlaufende Reihen mit Sitzbänken. Pro Sitzbank hat es zwei bis drei Schüler. Es ist nicht schwierig, sich auszumalen, dass viele Schüler in den hinteren Reihen Schwierigkeiten haben, dem Unterricht zu folgen. Und schlecht hörende oder sehende Schüler sind noch weitaus stärker benachteiligt als bei uns.

Neben Kurs- und Aufgabenheft sollten alle Schüler im Mathematikunterricht auch eine (meist billige und in China hergestellte) Boîte Académique haben, die ein Lineal, ein rechtwinkliges Dreieck, ein Winkelmass und einen Zirkel enthält. Die Kontrolle, ob alle ihr Material dabei haben, gestaltet sich natürlich sehr schwierig und zeitraubend. Ich begnügte mich bis jetzt meistens mit Stichproben. Dazu kommt, dass vielen Schülern wohl sogar zu glauben ist, wenn sie sagen, ihre Eltern hätten ihnen keine Boîte gekauft, weil sie zu teuer sei.

Unterrichten auf Französisch geht eigentlich ganz gut, die Schüler können in der Regel meinen Ausführungen sprachlich folgen – ob auch inhaltlich, ist natürlich eine andere Geschichte. Das Vorbereiten bereitet mir auch keine allzu grosse Mühe, ebenfalls die Prüfungskorrekturen, wenn auch letztere sehr aufwändig sind. Anspruchsvoll dagegen ist das Disziplinmanagement. Dies ergibt sich aus der einfachen Tatsache der hohen Schülerzahl pro Klasse. Viele Lektionen sind daher von massiven Unterbrüchen und Zurechtweisungen gekennzeichnet. Hauptstrafe ist hier leider körperliche Züchtigung, was mir wiederum höchst zuwider ist. Das Schlagen der Kinder scheint vielleicht kurzfristig eine erfolgreiche Methode. Auf lange Sicht jedoch sind die Schäden wohl grösser, als sich die Menschen hier vorstellen können. Gewalt als Mittel zum Erfolg ist hier in der Gesellschaft noch stark verbreitet und akzeptiert.

Im Unterricht kann ich aber stets auch schöne Erfahrungen machen. Die meisten Schüler kommen sehr gern in meinen Unterricht und unter diesen hat man natürlich immer auch solche, die sich für die Materie interessieren und sehr wissbegierig sind. Und es gibt doch immer wieder ziemlich ruhige Momente während meines Unterrichts. Dann ist es wirklich eine schöne Aufgabe, 80 an deinen Lippen hängenden Schülern ein mathematisches Problem zu erklären.