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Es war wohl auf so einer Studienreise nach Prag oder Wien, wie es viele vorher auch schon gegeben hatte. Vormittags Stadtführung, nachmittags Ausstellung, davor Frühstück, dazwischen Mittagessen, danach Abendessen. Und am Abend ein Theaterbesuch oder ein Konzert, Kultur erleben, angestrengt zuschauen. Danach dann in das Hotel, dabei lachen und Freude haben, sich und andere besser kennenlernen. Um 11.00 Uhr plus minus, eher plus, also zwölf Uhr, Nachtruhe, so, jetzt ist es still. Und immer wieder Ermahnungen und Bitten des Lehrers, wir wollen ja etwas vom nächsten Tag haben oder so. Jetzt ist es aber wirklich endlich still. Und dann doch irgendwann schlafen, mit müden Augen und so viel Eindrücken im Kopf. Und in der Stadt war es heute so warm, Sehenswürdigkeiten, Parks. Das ist die Karlsbrücke, das die Kleinseite. Hier der jüdische Friedhof, dort das Haus, in dem Kafka gewohnt hat.

Und dann war da dieser letzte Abend. Sie, sie stand da im Türrahmen, dahinter ein großer Raum mit Musik und Tanz, buntem Treiben. Ein bisschen finster, Lichtspielereien auf der Tanzfläche. Sie – da im Türrahmen, etwas gleichgültig wohl. Nur dann und wann ein auffälliges Kauen, dann eine wachsende Kugel Kaugummi vor ihrem Gesicht. Ein lautloses Platzen, ein karges Lächeln. Dann wieder nichts, wieder ein bisschen Kauen und zielloses Herumschauen auf nichts und niemanden. In den leicht abgedunkelten Raum, wo alle sind, in den Gang, immer noch kommen Leute, andere gehen schon wieder, verschwinden, irgendwohin. Und dann auch er, da auf dem Weg in diesen großen Raum, er, der junge Lehrer, Biologie oder sonst noch was. Jetzt in dieser Woche nur Stadtführer und Begleiter, gutgelaunter Touristguide. Etwas Witz und Charme, ein bisschen Freund, ganz wenig Lehrer, auch Unbekümmertheit manchmal, wenn er mit ein paar Schülerinnen schnell auf ein Bier in ein Lokal an der Ecke verschwindet, kurz nicht bei den anderen ist.

Einmal nicht der strenge Lehrer sein. Ansteckender Leichtsinn. Ansteckendes Lächeln. Heute sind ihre Augen geschminkt. Wie soll er an ihr vorbeikommen, in den Raum zu den anderen? Sie im Türrahmen, unschuldig, beinahe gleichgültig, wieder eine Kaugummikugel vor ihrem Mund, zerplatzend. Dann nimmt sie seine Hand, führt ihn in den Raum zu den anderen. Hier kann man herumstehen. Da ist noch niemand. Dort stehen sie herum und schauen den anderen beim Herumstehen zu, auch beim Tanzen, vier oder fünf sind es. Sie steht da und schaut in den Raum, hält seine Hand und spielt ein zartes Spiel. Ihre Finger tanzen ein sanftes, ein festes Spiel. Ihr Körper, dem seinen nah, ein Spüren, ihre Hüften, Schenkel. Ihr Haar fast klebrig auf seinen Lippen, ihre Stirn duftet. So warm und feucht die Haut. Niemand will sich berühren und doch alles so nah und warm. Und so feucht und heiß. Wie ihr Atem spürbar ist! So warm und nah.

Ihre Hände suchen sich schon wieder, finden sich und zeigen den Weg, den Weg ins Gesicht und an den Mund. Und dort finden sich ihre Lippen, dürfen sich nur beiläufig berühren. Und er genießt ihren Atem, warm und feucht, bis sie sich ineinander verlieren und vergraben und verschwinden – in sich. Und die anderen? Die anderen, gibt es die auch noch? Niemand scheint da zu sein, nichts wird geschehen, nur alles gespürt.